Die Aufzeichnungen von Luise Hannappel
Weitaus der größte Teil der Aufzeichnungen stammt jedoch
von Luise Hannappel, die bis zu ihrem Tode am 15. Dezember 1923 in unverbrüchlicher
Freundschaft an der Seite der Schippacher Jungfrau stand und Freud und Leid mit
ihr teilte. Wie Luise Hannappel mit Barbara bekannt wurde, mag sie uns mit ihren
eigenen Worten erzählen, die sie in ihrem Bericht an den Bischof von Würzburg niedergelegt
hat: „Da noch nicht lange meine Mutter gestorben war, ließ ich nicht nur viele heilige
Messen lesen, sondern bat auch meine Haushälterin, die mit vielen frommen Personen
bekannt war, mir einige ihrer Bekannten zuzuführen, um ihnen ein Melcherskreuz zu
geben mit der Bitte, für meine liebe Verstorbene einmal den Kreuzweg zu beten. Auf
diese Weise lernte ich Barbara Weigand kennen. Denn eines Tages kam meine Haushälterin
und sagte: „Ich weiß aber noch eine gute Beterin, die ist die frömmste in der ganzen
Stadt!“ Sie führte mir dann gleich darauf, meinem Wunsche entsprechend, Barbara
zu. Doch blieb das bei einer kurzen Gebetsempfehlung, die aber dann sooft wiederholt
wurde, als ich Barbara bei einem Kirchgang traf. Da es nun vorkam, daß ich sie lange
nicht mehr sah und ich, nach dem Grunde fragend, hörte, daß sie krank sei, erkundigte
ich mich nach ihrer Adresse, ging hin und fand sie an einem Freitagmorgen acht Uhr
zwischen vier Wänden in Ekstase mit himmlischen Wesen laut redend. Meine Seele war
davon derart erschüttert, daß ich, noch ehe die Ekstatische zu sich kam, zu meinem
und zugleich zu ihrem Beichtvater (P. Alphons O. Cap.) lief, ihm davon Kenntnis
zu geben. „Wenn so etwas sein kann“, sagte er, „so kann das hier echt sein; denn
ich beobachte die Person schon seit acht Jahren und ich habe noch niemals jemand
so andächtig den Kreuzweg beten sehen wie diese.“ Nachdem sie dann auf den Rat des
Paters hin noch die Meinung ihres Bruders, P. Ludwig O. Cap., eingeholt und über
Barbara sorgfältige Erkundigungen eingezogen hatte, worüber abermals „einige Monate“
vergingen, nahm sie der Wichtigkeit der Sache halber nunmehr zu Barbara eine positive
Haltung ein. Auch glaubte sie, sich damals schon durch die innere Stimme der Jungfrau
Barbara zum Aufschreiben der Worte ermuntert: „Meine Tochter! Willst du bei Tag
und Nacht bereit sein, wann immer Ich dich rufen werde, Meine Stimme zu hören und
sie der Menschheit zu übermitteln? Die Kraft dazu werde Ich dir geben.“ Das war
im Frühjahr 1895. Denn P. Alphons redet von „acht Jahren“, seit er Barbara kenne;
sie ist aber seit 1887, wie wir wissen, sein Beichtkind. Auch anderweitige Zeugnisse
bestätigen dieses Datum. So liegt vor mir ein Blatt, geschrieben von Luise Hannappel
im Jahre 1907 zur Abwehr des Vorwurfs, sie „mache“ die Sache. Darin redet sie von
einem „Bekanntwerden Barbaras mit mir 1895“, und wiederum: „Als Lieschen (gemeint
ist die andere Freundin) 1894 vom Herrn herbeigeführt wurde, um Babett im Leiden
beizustehen, da blieb sie von da an Zeuge, also ein Jahr vor mir.“
An anderer Stelle spricht Barbara davon, daß P. Ludwig zwölf Jahre lang ihre Vorgänge
überwachte. Nun kam P. Ludwig gleichzeitig mit seiner Schwester Luise zu näherer
Bekanntschaft mit Barbara; da er im Jahre 1907 starb, muß also der Beginn seiner
und seiner Schwester Bekanntschaft mit Barbara in das Jahr 1895 gesetzt werden.
Dieses Datum entspricht auch ganz dem Beginn der Aufzeichnungen durch Luise Hannappel,
die mit der Vigil des Herz-Jesu-Festes 1895 ihren Anfang nahmen, da sich in einem
Nachtrag zu diesem Tag die Bemerkung findet: „Einiges nur, was man äußerlich hörte.“
Hannappel besaß nach ihrem eigenen Bekenntnis eine besondere Gewandtheit im Schnellschreiben
und fing nun an, mit dem Redestrom der Ekstatischen gleichen Schritt zu halten,
was ihr aber, wie sie später selbst gesteht, nicht gelang. So bemerkt sie in einem
Anhang zum „Leben“, sie habe anfangs nicht alles zu Papier bringen können, sondern
„fast die Hälfte ausgelassen“, bis sie sich nach und nach „eingeschult“ habe. Am
Schlusse ihrer kleinen Selbstbiographie nennt sie als Zeitpunkt des Beginnes des
regelmäßigen Mitschreibens 1895. Seit dem Anfang des Jahres 1897 begann sie, die
Stenographie zu erlernen, wozu ihr Bischof Haffner selbst ein Lehrbuch zur Verfügung
stellte, so daß sie seit „Ende 1897 Wort für Wort, wie es aus dem Munde von Barbara
fließt, aufzeichnen kann, ohne etwas zu verändern oder auszulassen, indem sie mit
dem Diktat gleichen Schritt hält.“
Einige Einträge in den Schriften stammen auch von der Schwägerin Barbaras und ihren
Dienstmädchen Katharina, wie eine Bemerkung vom 31. März 1897 besagt: „Das Leiden
begann in der Nacht auf den Sonntag, Schlag Mitternacht. Es war niemand dabei wie
ihre Schwägerin, die nur wenig aufschreiben konnte, weil sie dem schnellen Redefluß
nicht folgen konnte, darum nur Bruchstücke“; ebenso vom 11. April 1897: „Dieses
Mal machten sich Frau Weigand und die beiden Dienstmädchen daran und schrieben um
die Wette auf, und dieses stellte dann die Schreiberin zusammen und Babett fügte
dann noch, soviel sie behalten hatte, aus ihrem Gedächtnis dazu, doch ist es bei
weitem nicht vollständig.“ Das Schicksal der Hefte war ein sehr bewegtes. Im Jahre
1900 mußten alle erreichbaren Exemplare an Bischof Brück ausgeliefert werden. Im
Jahre 1909 ging eine Garnitur an das Ordinariat in Köln, im Dezember 1915 wurden
sie vom Ordinariat Würzburg zur Berichterstattung an die Päpstliche Nuntiatur eingefordert
und am 5. Januar 1916 dem Ordinariat zu diesem Zweck übergeben. Schon damals scheinen
so gut wie keine mehr im Umlauf gewesen zu sein; denn als der dem Kirchenbau sehr
abgeneigte Vorstand des Bezirksamtes Obernburg durch die Polizei nach den Schriften
fahnden ließ, konnte diese trotz eifriger Nachforschungen kein Exemplar mehr auftreiben.
Nur Barbara blieb im Besitz einer Garnitur. Da diese Schriften nicht nur ihre inneren
Erlebnisse enthalten, sondern zugleich ihren äußeren Lebenslauf und den ihrer weitverzweigten
Verwandtschaft schildern, bilden sie auch eine kostbare Fundgrube für die Familien-
und Sippenkunde und sind darum auch von hohem familiengeschichtlichen Werte.
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